Ireneusz Szyderski (3.8.1992)

Am Abend des 3. August 1992 geht der 24­jährige Ireneusz Szyderski mit drei Freund_innen etwas essen. Anschließend besuchen sie den Discozirkus in Erfurt-Stotternheim. Als sie den Heimweg antreten, sucht Ireneusz noch einmal die Toilette auf.

Ein Ordner entdeckt ihn kurz danach auf einem Absperrzaun. Er schlägt ihm daraufhin ins Gesicht und holt Verstärkung. Der im späteren Ermittlungsverfahren als »Haupt-Glatze« bezeichnete »Anführer« des Ordnungspersonals und andere junge, deutsche Männer kommen hinzu.
Sie beschimpfen den polnischen Mann. Als er auf dem Boden liegt, wird er mit einem langen und festen Stock viermal auf den Rücken geschlagen. Außerdem erleidet er einen Faustschlag oder Fußtritt gegen den Kopf.

Ireneusz Szyderski kann sich nach dieser Attacke noch einmal aufraffen und versucht, sich von den Angreifern fortzubewegen. Ein Wachhund bellt ihn an und er sackt erschrocken zusammen.
Der »Anführer« und ein Kollege schleifen ihn nun auf dem Bauch über den steinigen Boden in Richtung Besucherparkplatz. Dort lassen sie ihn vor seinen Freund_innen fallen mit den Worten: »Hier, den könnt ihr mitnehmen.« 1

Sie lagern ihn im Auto und wollen ihn sofort nach Hause fahren. Ireneusz Szyderski hat zahlreiche Verletzungen und Unterblutungen sowie Platzwunden an Rumpf, Hals, Kopf und Armen. Eine dadurch verursachte Hirnblutung lässt ihn ohnmächtig werden. Im Auto atmet er noch dreimal tief auf und gibt dann keine Regung mehr von sich. Seine Körperreflexe setzen aus, er erstickt an seinem Erbrochenen. Der Notarzt kann nur noch den Tod feststellen.

Der Veranstalter des Discozirkus wird im Ermittlungsverfahren äußern, dass er den Hauptverdächtigen beschäftigte, weil er ihn als Anführer einer Personengruppe betrachtete, die der Skinhead-Szene zugerechnet wurde. Er soll wenige Tage nach der Tat auf einer Feier damit geprahlt haben, es »dem Polen besorgt« zu haben. Im Ermittlungsverfahren lässt sich allerdings nicht feststellen, wie viele und welche Personen welche Gewalt angewendet haben.

Im Gerichtsverfahren kann auch ein »ausländerfeindliches Motiv« nicht bewiesen werden.
Dort wird bemerkt, dass der Hauptangeklagte »mit den polnischen Reinigungskräften in Frieden« lebte und an einem anderen Arbeitsplatz auch mit »ausländischen Arbeitskollegen ausgekommen« 2 ist.

Die während der Attacke ausgesprochenen Beschimpfungen werden nicht weiter thematisiert.
Das Gericht stellt lediglich fest, dass es dem Hauptangeklagten »aufgrund seiner herausragenden Stellung in der Ordnungsgruppe als einziger Festangestellter und seiner überaus kräftigen körperlichen Konstitution und seiner intellektuellen Potenz«3 möglich gewesen wäre, das Opfer vor den Angriffen zu schützen.

Auch die Todesursache kann nicht eindeutig geklärt werden. Ein Sachverständiger im Prozess meint, die starke Alkoholisierung von Ireneusz Szyderski könnte dessen Tod ebenfalls verursacht haben. Daher wird der Hauptangeklagte lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.

Die Publikation »20 Jahre Asylkompromiss« (Hg. Stefan Luft, Peter Schimany) regt an, die Ermordung von Ireneusz Szyderski auch im zeitgeschichtlichen Kontext zu verstehen:
Insbesondere in Ostdeutschland herrschte eine teilweise gewalttätige oder gewaltaffine Feindseligkeit gegenüber Fremden, vor allem gegenüber den sogenannten »Vertragsarbeitern«. Die britische Publikation »The Neo-Nazis and German unification« (Rand C. Lewis) stellt den Mord in den breiteren Kontext der (als negativ empfundenen Folgen der) Wiedervereinigung.
Ireneusz Szy- derski wurde bis heute nicht als Opfer rechter Gewalt staatlich anerkannt.

1 Landgericht Erfurt, Urteil vom 13.11.1993.
2 Ebd.
3 Ebd.