Hartmut Balzke (25.1.2003)

Am letzten Wochenende im Januar 2003 begleitet Hartmut Balzke seinen Sohn Daniel.
Sie wollen zu Freund_innen nach Erfurt. Der 48 Jahre alte Familienvater lebt in Forst (Brandenburg) in einem sozial randständigen Milieu. Er ist arbeitslos.

Im Stadtteil Erfurt-Nord findet eine Punk­Party statt. Der spätere Täter Dirk Q. versucht, sich gemeinsam mit anderen »Kameraden« Zugang zu dieser Party zu verschaffen. Doch die Gastgeber_innen verwehren ihnen den Zutritt wegen ihrer offenkundigen Zugehörigkeit zur rechten Szene. Als die rechte Gruppe das Haus verlässt, machen sich auch einige Punks auf den Weg zu einer anderen Veranstaltung. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung und kleineren Handgreiflichkeiten. Der spätere Täter zieht sich dabei eine 1 cm tiefe Stichwunde im Rücken zu. Es kann nicht geklärt werden, wer ihm diese zugefügt hat. Alle Beteiligten sind bereits alkoholisiert.

Die rechten Männer verziehen sich in eine nahe gelegene Kneipe. Doch Dirk Q. ist erbost und aufgebracht. Er geht den Punks hinterher. Auf der Straße sieht er zwei Personen, die augenscheinlich betrunken und somit wehrlos sind. Er macht eine »schulterlockernde, kreisende Bewegung« 1.
Dann schlägt er zuerst Hartmut Balzke und danach den Punk Sebastian Q. mit jeweils einem gezielten Faustschlag zu Boden. Hartmut Balzke fällt »wie ein nasser Sack« 2 rücklings um und schlägt mit dem Kopf auf den Boden. Er ist sofort bewusstlos.

Der Angreifer tritt den ebenfalls reglos am Boden liegenden Sebastian Q. mehrmals gegen Oberkörper und Kopf. Hartmut Balzke erleidet eine Hirnschwellung durch den Aufprall und verstirbt zwei Tage später im Krankenhaus. Sebastian Q. wird so schwer verletzt, dass er eine Nasenbein- und Gesichtsfraktur erleidet sowie ein Schädel-Hirn-Trauma. Sein Schädel muss später mit Titanplatten stabilisiert werden.

Dirk Q. wird zeitnah als Hauptverdächtiger ermittelt. Er steht unter dringendem Tatverdacht und zum Zeitpunkt der Tat noch unter zweifacher Bewährung. Dennoch wird er nicht festgenommen oder einem Haftrichter vorgestellt. Im Januar 2000 wurde er zu 2 Jahren Jugendstrafe verurteilt und im November 2002 zu einem weiteren Jahr.

Dabei ging es um Körperverletzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Zeigen des Hitlergrußes und Beleidigung. Die Strafen waren zur Bewährung ausgesetzt und waren am 25. Januar 2003 noch nicht abgelaufen.

Im November 2003 erhebt die Staatsanwaltschaft Erfurt Anklage gegen den Täter. Jedoch beginnt
der Prozess erst 5 Jahre später, am 10. März 2008. Die Anklage lautet schlicht: »Körperverletzung mit Todesfolge« und »einfache Körper verletzung«. Der Täter profitiert von der enormen zeitlichen Verzögerung des Prozesses: Seine Einträge im Bundeszentralregister werden wegen Verjährung gelöscht, sodass er zur Urteilsverkündung nicht mehr vorbestraft ist.

Im Prozessprotokoll wird nichts dazu erwähnt, außer dass das »Fehlen von Vorstrafen« für den Angeklagten spreche. Angemerkt wird zudem sein früherer Kontakt zur rechtsradikalen Szene, der durch Wehrdienst und eine feste Beziehung abgenommen habe. Der Angeklagte sei aufgrund einer Erkrankung an Hautkrebs besonders »strafempfindlich« – ein Aspekt, der bei einer zeitnahen Verurteilung keine Rolle gespielt hätte.

Zudem habe Dirk Q. durch die lange Wartezeit große Belastungen erleiden müssen. Gleichzeitig habe er sich »im Vorhinein bewährt«, da er seit seinem Gewaltexzess an Hartmut Balzke und Sebastian Q. nicht wieder straffällig wurde. Das Gerichtsurteil suggeriert, dass diese Tat ihn selbst zum Umdenken gebracht hat. Er wird mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe und Sozialstunden aus dem Gericht entlassen.

Die Signalwirkung dieser Strafverfolgung ist verheerend. Gewalttäter_innen wird signalisiert, dass derartig brutale Übergriffe beinahe folgenlos bleiben. Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland Stephan J. Kramer äußerte sich entsetzt: »Offenbar waren in diesem Fall das Leben eines Arbeitslosen und die Gesundheit eines Punks nicht so viel wert wie die schonende Behandlung eines einschlägig aufgefallenen Täters.« 3

Ebenso wenig im Blick waren die Folgen für die Hinterbliebenen. Die Ehefrau von Hartmut Balzke nimmt sich zwei Jahre nach dessen Tod das Leben; der Sohn Daniel ist nun Vollwaise.

Der Fall ist bis heute nicht durch staatliche Institutionen anerkannt.

1 Landgericht Erfurt, Urteil vom 29.01.2009.
2 Ebd.
3 Jansen, Frank: »Mildes Urteil für Totschläger. Massive Kritik an Justiz in Thüringen«
(21.06.2008), in: Der Tagesspiegel,
URL: http:// www.tagesspiegel.de/politik/ deutschland/ mildes-urteil-fuer-totschlaeger-massive-
kritik-an-justiz-in-thueringen/ 1261524.html
(Stand: 26.11.2015).