Jana G. (26.3.1998)

Am Nachmittag des 26. März 1998 machen sich Jana G. und eine Freundin auf den Weg zum Klubhaus in Saalfeld. Ihre Freundin läuft, sie fährt mit dem Fahrrad neben ihr her. Die beiden 14-Jährigen wohnen in Gorndorf, einer Neubau-Siedlung. Diese steht im Ruf, von Neonazis bestimmt zu sein. Sie kommen an einer Telefonzelle vorbei. In dieser befindet sich ein 15­jähriger Junge, den beide aus der Schule kennen. Jana ist in der Vergangenheit bereits mit ihm in Konflikt geraten. Er hat wiederholt jüngere Kinder mit Messern, Reizgas und anderen Gegenständen bedroht, verängstigt und verletzt. Deshalb wurde er kürzlich in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.

Jana ist bekannt, dass er versucht hat, in der rechten Szene Fuß zu fassen. Vor einigen Monaten hat sie ihn in Gegenwart anderer als »Scheiß Fascho« bezeichnet. An diesem Nachmittag trägt der Junge ein Butterfly-­Messer bei sich. Er klappt es auf und fährt den beiden Mädchen mit dem Fahrrad hinterher. Als er sie einholt, versucht er die Reifen von Janas Fahrrad zu zerstechen. Zu ihrer Freundin sagt er: »Von dir will ich gar nichts1

Er beginnt, Jana mit den Füßen zu treten. Sie wirft ihr Fahrrad zur Seite und wehrt sich, tritt gegen sein Fahrrad. Beide schreien sich gegenseitig an. Der Angreifer beschimpft Jana als »Zecke« und »Zeckenschlampe«. Dabei hält er die ganze Zeit das offene Messer in der Hand. Dann sticht er zu. Die 12 cm lange Klinge trifft das Mädchen in die linke Halsseite. Die Halsschlagader wird durchtrennt, ein Lungenflügel beschädigt. Er zieht das Messer wieder heraus. Jana greift sich an die Wunde, geht zwei Schritte zurück und bricht zusammen. Sie stirbt noch am Tatort.

Der Täter begründet seine Handlung später damit, dass Jana »in der Stadt mal die Linken auf ihn gehetzt« 2 habe. Er ging seiner Aussage nach nicht davon aus, dass sich Jana wehren würde. Er habe nur imponieren und seine Macht demonstrieren wollen. Es habe ihn geärgert, dass sie sich nicht unterwürfig und demütig zeigte. In Folge dieser Tat kommt es zu Gedenkveranstaltungen. Am Tatort werden linke Aktivist_innen bei einer Mahnwache mit den Worten bedroht: »Das war nur die erste Zecke, euch stechen wir auch noch ab!« 3

Der Großvater des Opfers zeigt sich unzufrieden mit dem Umgang aus Politik und Justiz: »Die Polizei nimmt die Kerle mit, der Richter lässt sie laufen, dann lauern sie dir auf. Die Stadtverwaltung, feige. Wenn der Bür- germeister offensiv verkünden würde, Saalfeld duldet keinerlei Faschismus, dann bräuchten wir keine linken Demos von außerhalb.« 4 Der Fall von Jana G. wird bis heute nicht als rechtsmotivierte Gewalttat anerkannt.

Das Landgericht Gera verurteilt den 15-Jährigen wegen Totschlags zu fünfeinhalb Jahren Jugendstrafe.

Das Urteil nimmt die vermeintlich engere Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Blick. Weil sich der Täter abgelehnt und gekränkt gefühlt habe, »Hänseleien« und Verspottung habe ertragen müssen, sei er zu seiner Tat motiviert worden. Die Landesregierung bekräftigt diese Einschätzung auf Nachfrage im Jahr 2012 noch einmal. Dabei wird betont, dass die »wechselseitigen Beleidigungen« (»Fascho« und »Zeckenschlampe«) eine Einordnung als rechtsmotivierte Kriminalität nicht rechtfertigen würden.

Der Fall ist bis heute nicht durch staatliche Institutionen anerkannt.

1 Landgericht Gera, Urteil vom 09.11.1998.
2 Ebd.
3 Dieckmann, Christoph: »In der thüringischen Stadt Saalfeld wurde die vierzehnjährige Jana
erstochen. Das Mädchen gab sich links, der Mörder wollte Nazi sein.« (16.04.1998),
in: DIE ZEIT, URL: www.zeit.de/1998/17/jana.txt.19980416.xml/seite-5 (Stand: 26.11.2015).
4 Ebd.