Die Vorfälle in „Erfurt“ und „Sömmerda“ (auf der Tafel zu „DIE LINKE“) machen eine Menschenfeindlichkeit deutlich, die eine lange Tradition hat. Diese Fälle sind eindeutig als antisemitisch motiviert zu verstehen. Um Antisemitismus in seiner Aktualität zu verstehen, soll es in diesem Text nicht nur um den „klassischen“ Antisemitismus mit seiner Anpassungsfähigkeit gehen, sondern gegen Ende auch explizit um Antizionismus, israelbezogenen Antisemitismus und sogenannte „Israelkritik“.

Theodor W. Adorno hat in seinen Minima moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben den Antisemitismus als das „Gerücht über die Juden“ bezeichnet. Er greift damit einen zentralen Punkt dessen auf, was sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und Formen des Antisemitismus zieht: Der Antisemitismus ist nie ein Problem der Jüdinnen und Juden, sondern immer eins der Antisemit_innen.

Matthias Müller von MOBIT, der „Mobilen Beratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“, führt zum Antisemitismus aus:

Der Begriff Antisemitismus bezeichnet die Gesamtheit judenfeindlicher Äußerungen, Vorurteile, Meinungen und Handlungen. Juden und Jüdinnen werden kollektiv negative Eigenschaften, Absichten und Haltungen zugeordnet, die mit realer jüdischer Existenz nichts, wenig oder nur Missverstandenes zu tun haben. Diese Zuschreibungen sind absurd, irrational und resistent gegenüber aufklärerischen Argumenten. Judenfeindschaft hat nichts mit dem Verhalten von Jüdinnen und Juden zu tun. Vielmehr dienen sie als Projektionsfläche für Probleme, Ängste und Sorgen der nicht-jüdischen Mehrheit. Antisemitismus ist deshalb zuerst ein Symptom für Probleme in der Mehrheitsgesellschaft.1

Diese Zuschreibungen können im schlimmsten Fall zu einem Ressentiment oder einer festen Ideologie, also zu einem sinnstiftenden Weltbild werden. Werner Bergmann bezeichnet das antisemitische Weltbild als eine „anti-moderne Weltanschauung, die in der Existenz der [Jüdinnen und] Juden die Ursache aller Probleme sieht“. 2

Die lange Tradition des Judenhasses

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Judenfeindschaft vor allem durch religiös geprägte Motive bestimmt: Die christliche Kirche gab „den Juden“ als Kollektiv die Schuld am Tod Jesu. In „den Juden“ sahen weite Teile der Bevölkerung das „Böse“ schlechthin und schrieben ihnen „dämonische Fähigkeiten“ zu. Beim Eintreten von Naturkatastrophen oder anderem Leid bezichtigte man sie als die Planer und Verursacher solcher Ereignisse. Dieser „Antijudaismus brachte auch Mythen wie den „Ritualmord“ an Kindern oder die Vergiftung von Brunnenwasser durch Jüdinnen und Juden hervor.

Mit dem Wandel von der feudalen, religiös geprägten Gesellschaft hin zum liberalen Kapitalismus säkularisierte sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Antisemitismus. Dieser wurde zunehmend ökonomisch begründet. Die in der christlichen Gesellschaft etablierte Berufsstruktur schloss Jüdinnen und Juden aus vielen Arbeitsfeldern aus. Ihre Berufswahl war beschränkt, sodass sie häufig im Finanz- oder Handelssektor tätig waren. Dieses Faktum wurde in neue Stereotype integriert: Jüdinnen und Juden galten nun vor allem alsWucherer oder Betrüger, später als ausbeuterische Großkapitalisten“ und „Spekulanten. An diese Bilder schließt die bis heute anzutreffende Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“ an. Behauptet wird, dass die Juden“ eine einflussreiche, weltweit agierende Gruppe seien und somit als „Drahtzieher“ mit ihrem Geld das Geschehen der ganzen Welt bestimmten. Hier wird deutlich, wie sich moderne antisemitische Bilder und Stereotypen an alten vormodernen Mythen bedienen und in das kulturelle Gedächtnis einfließen.

Mit dem Sozialdarwinismus der rassistischen und völkischen Ideologie der Nationalsozialist_innen in Deutschland nahm der Antisemitismus mit der fast vollständigen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden ein neues Ausmaß an. Zwei Elemente dieses eine Zersetzung des Volkskörpers imaginierenden“ Antisemitismus finden sich auch in heutigen Phänomenen von Stereotypen und Diskriminierungen wieder:

Zunächst haben die Nationalsozialist_innen unterschieden zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital, das auf die antijudaistischen Bilder der Finanzhändler_innen und „Wucherer“ zurückgreift. Das „schaffende Kapital“ sei die „gute“, „ehrliche“ und „bodenständigeTätigkeit im Agrarsektor oder der Industrieproduktion, welcher die meisten deutschen Arbeiter_innen und Angestellten nachgingen, und das vor allem dem Wohl von „Volk und Vaterland“ dienen sollte.

Das „raffende Kapital“, das im Finanz- und Handelsbereich entstehe, sei demgegenüber egoistisch und nur am privaten Profit orientiert und wurde damit über bereits vorhandene antisemitische Einstellungen mit „den Juden“ assoziiert. Solche Vorstellungen finden sich auch heutzutage im kulturellen Gedächtnis und drücken sich häufig in Begriffen wie „Heuschrecken“ oder „Bankstern“ aus.

An diese verkürzte Kapitalismuskritik schließt auch das Stereotyp des sogenannten „Drückebergers“ an, der vor harter Arbeit und Herausforderung davon rennt. Die rassistische Vorstellung vom Körperbild „der Juden macht sie zu schwachen, hässlichen, gebückten und hakennasigen Personen. Das Bild enthält auch eine sexistische Komponente, da die jüdische Frau als „exotisch“ angesehen wurde, als „schöne, verführende Jüdin“.

Gegenwart des Antisemismus

Alle Dimensionen der bisher genannten antijüdischen Bilder und Einstellungen wirken mehr oder weniger in der gegenwärtigen Gesellschaft und haben aktualisierte Formen angenommen. Dies gilt vor allem für den „rechtsextremen“ Antisemitismus, aber einige Bestandteile dessen finden sich auch in anderen politischen Spektren und vor allem in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“.

Sekundärer oder „inszenierter“ Antisemitismus

Der Psychologe Zvi Rex hat mit dem Satz Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ sarkastisch formuliert, was wissenschaftlich als „sekundärer“ oder „moderner“ Antisemitismus bezeichnet wird. Damit wird ein Judenhass umschrieben, der sich paradoxerweise nicht trotz, sondern wegen des Holocausts – also der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden – entwickelt hat. Das Motiv der Erinnerungsabwehr ist so alt wie die Bundesrepublik Deutschland selbst. Aber seit den 1960er und 1970er Jahren tritt vermehrt die Tendenz auf, die Leiden der deutschen Bevölkerung gegen das Leid der Opfer des Nationalsozialismus und vor allem gegen das Leid der Jüdinnen und Juden aufzurechnen.

Die faktische Relativierung oder gar Leugnung des Holocausts nimmt Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge zu: So stimmten 2014 18,5 Prozent der deutschen Bevölkerung teilweise (11,4) bis weitgehend (4,8) oder voll (2,3) dem Satz zu:Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“. 3 Ebenso verbreitet sich die Meinung, „den Juden“ nicht mehr länger helfen zu wollen. Die Forderung, dass die NS-Verbrechen weiter verfolgt werden sollen, weicht zunehmend der Forderung nach einem sogenannten „Schlussstrich“ und dem Wunsch nach einem Ende der „Vergangenheitsbewältigung“.

Dieser Wunsch erwächst aus unterschiedlichen Motiven, von denen das antisemitische nur eines ist. Er drückt sich am deutlichsten in dem Wahn aus, Jüdinnen und Juden eine Mitschuld an den NS-Verbrechen zu geben, um gleichzeitig die historische Verantwortung sowie die „Kollektivscham“ der Deutschen angesichts einer nicht zu bewältigenden Schuld zu relativieren. Gleichzeitig werden Jüdinnen und Juden dadurch als „Störenfriede“ einer nationalen Normalität konstruiert.

Prof. Dr. Wolfgang Frindte ist Kommunikationspsychologe am Institut für Kommunikationswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena und bezeichnet solche Äußerungen als Zeichen eines „inszenierten Antisemitismus“:

Es ist ein Antisemitismus, der aufgehört hat, Ideologie zu sein; ohne aber als Vorurteil zu verschwinden oder ein bloßes privates Vorurteil wie andere auch zu werden (Marin, 2000). […] Es handelt sich um einen manifest/latenten Antisemitismus, indem die ‚neuen‘ Antisemiten sich in nicht-antisemitischer Weise feindselig gegenüber Juden verhalten, Gewalt gegenüber Juden verurteilen, aber gleichzeitig das Verschwinden der Juden als besondere Gruppe nicht bedauern würden. Der moderne Antisemitismus nutzt Andeutungen und Anspielungen, die Bezüge zu weit verbreiteten antisemitischen Ressentiments herstellen und diese damit quasi in verschlüsselter und meist auch abgeschwächter Form reproduzieren und er übt sich in Ersatzhandlungen jenseits ‚klassisch‘ antijüdischer Angriffe und Anspielungen.4

Nicht selten taucht im Kontext der sogenannten „Vergangenheitsbewältigung“ die Behauptung auf, dass „die Juden“ einen Profit aus dem Holocaust und der Schuld der Deutschen ziehen würden und ohnehin „unversöhnlich“ seien. Öffentliche Akteur_innen, zum Beispiel die NPD, greifen dieses Denkmuster mit Begriffen wie „Holocaust-Industrie“ auf. Nicht selten beanstanden Vertreter_innen solcher Positionen auch die vermeintliche „Großmäuligkeit“ des Zentralrats der Juden in Deutschland und schimpfen gegen seine „ewigen Finanzforderungen“.

Philipp Gessler macht darauf aufmerksam, dass insbesondere bei der Forderung nach einem „Schlussstrich“ eine Überschneidung zu gegenwärtigem Antisemitismus und sogenannter „Israelkritik deutlich wird: Eine solche Forderung ist gleichbedeutend mit einer Leugnung der „historischen Verantwortung für den Holocaust, der besonderen Verantwortung der Deutschen für das Erinnern an die Untaten, für das heutige jüdische Leben in Deutschland und für den Staat Israel“. 5

Dass Antisemitismus weiterhin ein Bestandteil unserer Gesellschaft ist, belegen auch die Ergebnisse der Befragungen zur „Fragilen Mitte“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. So ärgern sich im September 2014 55 Prozent der Deutschen eher oder voll und ganz darüber, „wenn ihnen heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden6. Der Aussage „Ich bin es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hörenstimmen 48,8 Prozent eher oder voll und ganz zu. Bei beiden Aussagen lässt sich im Vergleich zu 2004 eine absteigende Tendenz beobachten. Viele Wissenschaftler_innen mahnen bei derartigen Ergebnissen jedoch nicht zu voreiliger Freude über weniger Antisemitismus, sondern erwägen einen Lernprozess des „Sagbaren“ anhand der Kenntnis von sozialer Erwünschtheit. Dieser Prozess macht es möglich, dass sich antisemitische Ressentiments und Stereotype ohne die explizite Nennung des Wortes „Jude“ artikulieren können, beispielsweise entlang der sogenannten „Israelkritik“. Jan Riebe, ein Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung, führt dazu aus:

In der Wissenschaft spricht man daher von einem ‚Antisemitismus ohne Antisemiten‘. Antisemitische Äußerungen werden meist nicht mehr offen, sondern über Umwege geäußert, häufig als vermeintlich legitime Kritik am Kapitalismus oder an Israel. Diese Form wird als ‚antisemitische Umwegkommunikation‘ bezeichnet. 7

Antizionismus & „Israelkritik“ 

Der gegenwärtige Antisemitismus hat häufig einen bestimmten Bezug zum Staat Israel. Abwertende Aussagen über den Staat Israel sind oft von antisemitischen Stereotypen durchzogen. Viele Beispiele haben sich im Sommer 2014 beobachten lassen: Im Kontext der Intervention des israelischen Militärs gegenüber der Terror-Organisation Hamas im Gazastreifen kam es in vielen deutschen Städten zu „Solidarität mit Gaza“-Demonstrationen. Im Kontext dieser Proteste wurden immer wieder aggressive antisemitische Sprechchöre wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ oder Plakate wie „Früher Opfer heute Täter“ wahrgenommen. Mit Blick auf antisemitisch motivierte Attentate auf jüdische, israelische oder zionistische Einrichtungen und Personen in unterschiedlichen Ländern Europas ist es besonders wichtig, Sensibilität für diese Thematik zu entwickeln.

Antizionismus

Mit „Zionismus“ werden Bestrebungen bezeichnet, die das Ziel haben, einen „jüdischen Staat“ zu bilden. Im Europa des 19. Jahrhunderts griff der Antisemitismus mehr und mehr um sich; Zionist_innen waren mit der aussichtslosen Assimilation und Integration der europäischen Jüdinnen und Juden in die Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. Sie sahen die Möglichkeit, ein freies und sicheres Leben zu führen, nur in der Existenz eines eigenen Staates. Was zunächst als bloßer „Wunsch“ nach einer Heimat formuliert wurde und zunächst vor allem für russische Jüdinnen und Juden bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Zuflucht vor Pogromen begann, sollte und musste mit der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialist_innen zu einer „Rettungsbewegung“ werden, die sich ab 1948 in der Gründung und im Selbstverständnis des Staates Israel manifestierte.

Antizionismus“ meint also die Ablehnung des Existenzrechtes des Staates Israel und gleichzeitig die Aberkennung des Anspruchs der Jüdinnen und Juden auf nationale Selbstbestimmung. Zudem schwingen bei Aussagen und Positionen, die sich als antizionistisch definieren, nicht selten antisemitische Projektionen mit. Dann werden alte antisemitische Ressentiments auf Israel projiziert, dem Staat Israel „jüdische Eigenschaften“ oder Weltverschwörungen zugeschrieben und Israel im Weltbild von Antisemit_innen zum „kollektiven Juden“ stilisiert.

Gleichzeitig lässt sich eine Entwicklung beobachten, die nicht zuletzt mit (angenommener) sozialer Erwünschtheit zusammenhängt. Ein Beispiel ist die juristische Auseinandersetzung um den Ruf „Tod den Zionisten“ im Kontext einer Gaza-Solidaritätsdemonstration im Sommer 2014 in Essen: Der Anmelder der Demonstration rief unter anderem diesen Satz. Als Folge einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung urteilte eine Richterin des Amtsgerichts Essen Ende Januar 2015, dass der Ruf „Tod und Hass den Zionisten“ im geäußerten Kontext bei Weitem nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei, denn „Zionist ist im Sprachgebrauch der Antisemiten der Code für Jude“. So führt sie gegenüber dem Angeklagten an: „Wenn Sie im vergangenen Jahr ,Tod und Hass den Zionisten‘ riefen, meinten Sie damit den Staat Israel und die Juden. Es war ja der Staat Israel, der sich im Krieg befand. 8

„Israelkritik“

Was gegenwärtig immer häufiger präsent ist, sind Aussagen, die sich als sogenannte „Israelkritik“ darstellen. Allein das Wort stellt eine Schwierigkeit dar: Es gibt keine Frankreichkritik, keine Neuseelandkritik und keine Äquatorialguineakritik. Diese überspitzte Formulierung macht deutlich, was am Begriff „Israelkritik“ problematisch ist. Der Begriff enthält die Annahme, den Staat Israel pauschal kritisieren zu müssen und gleichzeitig die verdeckte Annahme eines vermeintlichen Tabus, Israel nicht kritisieren zu dürfen. Eine konkrete Politik einer konkreten Regierung oder einzelner Akteur_innen kann selbstverständlich kritisiert werden. Pauschalisierungen, die unter Umständen antisemitische Ressentiments pflegen, wie beispielsweise die Behauptung „Die Israelis vergiften den Palästinensern das Wasser“ sind dagegen abzulehnen. In diesem Beispiel der ‚Nahost-Gerüchteküche‘ wird das alte antisemitische Bild der Brunnenvergifter neu aufgelegt. Außerdem wird die Forderung nach einem Boykott israelischer Waren laut, was bei gleichzeitigem Ausbleiben von Boykott-Forderungen in Bezug auf Staaten wie China, Nigeria oder Ecuador unweigerlich an das „Kauft nicht beim Juden“ des Nazi-Deutschlands erinnert.

Um zwischen Kritik und israelbezogenem Antisemitismus zu unterscheiden, hat sich der von Nathan Scharansky entwickelte „3D-Test“ als nützlich erwiesen. Dieser enthält Kriterien, mit denen sich prüfen lässt, ob sich in einer bestimmten Äußerung antisemitische Ressentiments auf den Staat Israel beziehen. Dazu noch einmal Jan Riebe:

Das erste D ist der Test auf Dämonisierung. Während im klassischen Antisemitismus Jüdinnen und Juden dämonisiert wurden, wie z.B. in der literarischen Darstellung von Shakespeares Shylock, so liegt in Bezug auf Israel laut Sharansky dann Antisemitismus vor, wenn Israel dämonisiert wird. Beispiele dafür sind der häufig anzutreffende Vergleiche Israels mit dem Nationalsozialismus.

Das zweite D ist der Test auf Doppelstandards. Während es früher wie heute ein deutliches Zeichen von Antisemitismus war und ist, wenn Jüdinnen und Juden anders als andere Menschen behandelt werden, z.B. durch diskriminierende Gesetze, gelte in Bezug auf Israel stets die Frage zu stellen ‚ob die Kritik an Israel selektiv angewendet wird. Mit anderen Worten, erzeugt ähnliche Politik anderer Regierungen die gleiche Kritik, oder wird hier ein doppelter Standard eingesetzt‘?

Das dritte D ist der Test auf Delegitimierung. Wenn ‚die Legitimität der jüdischen Religion, des jüdischen Volkes, oder von beiden‘ negiert wird, liegt Antisemitismus vor. Übertragen auf Israel bedeutet dies, Antisemitismus liegt dann vor, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen wird.

Ein von Sharansky nicht direkt erwähnter Punkt sind Assoziationen. Antisemitismus liegt vor, wenn in Äußerungen über Israel Assoziationen benutzt werden, die antisemitische Bilder bedienen.9

Fazit

Solche Kriterien stärker zu beachten, das ist gebotener denn je, wenn man die Untersuchungsergebnisse der Studie „Fragile Mitte“ der Friedrich-Ebert-Stiftung betrachtet. Diesen zufolge unterscheiden die Befragten beispielsweise immer weniger zwischen Jüdinnen und Juden, Israel und israelischer Politik. So stimmten im Jahr 2014 immerhin 27,1 Prozent eher oder voll und ganz einem direkten Vergleich Israels mit dem Nationalsozialismus zu, während 39,9 Prozent eher oder voll und ganz der Meinung waren, Israel führe einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser. 10

Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht nur im rechten Spektrum zu finden ist. Es hat sich institutionell verankert und nimmt verschiedene, teilweise subtile, teilweise offensiv bis aggressive Formen im Alltag an. Wichtig ist, dass wir in einen reflektierten Umgang mit allen Formen von Antisemitismus treten und uns solidarisch mit den Betroffenen dieser Ressentiments zeigen.

Weitere und ausführlichere Informationen zum Thema Antisemitismus, Antizionismus und „Israelkritik“ können Sie im Internet finden – zum Beispiel auf den Seiten der Amadeu Antonio Stiftung unter www.amadeu-antonio-stiftung.de.

Alle Hinweise und Informationen können Sie auch in Ruhe auf der Sonderseite zur Ausstellung und auf der Website der Opferberatung ezra abrufen. Klicken Sie dazu bitte auf www.angstraeume.ezra.de oder www.ezra.de.

1 Müller, Matthias (2005): Projekt: Gemeinsam gegen Antisemitismus in Thüringen. Eine Wanderausstellung mit lokalen Veranstaltungen und Aktivitäten, in: Mobile Beratung in Thüringen Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus (Hrsg.): Gemeinsam gegen Antisemitismus in Thüringen. Eine Wanderausstellung mit lokalen Veranstaltungen und Aktivitäten, S. 6.

2 Bergmann, Werner (2006): Was heißt Antisemitismus?, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Antisemitismus.
URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37945/antisemitismus.

3 Zick, Andreas; Klein, Anna (2014): Rechtsextreme Einstellungen in einer fragilen Mitte, in: Melzer, Ralf (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, S. 36f.
URL: http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf.

4 Klein, Melanie (2005): Neuer Antisemitismus?, in: Informationsdienst Psychologie – IDP 3/2005.
URL: http://www.bdp-verband.org/bdp/idp/2005-03/05.html.

5 Gessler, Philipp (2006): Sekundärer Antisemitismus: Argumentationsmuster im rechtsextremistischen Antisemitismus, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Antisemitismus.
URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37962/sekundaerer-antisemitimus.

6 Klein, Anna; Groß, Eva; Zick, Andreas (2014): Menschenfeindliche Zustände, in: Melzer, Ralf (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, S. 70.
URL: http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf.

7 Riebe, Jan (2012): Was ist israelbezogener Antisemitismus?, in: Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): „Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen…?!“ Über legitime Kritik, israelbezogenen Antisemitismus und pädagogische Interventionen, S. 7-11.
URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf.

8 Laurin, Stefan (2015): Wer „Zionisten“ den Tod wünscht, ist Volksverhetzer, in: DIE WELT Online vom 30.01.2010. URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article136958755/Wer-Zionisten-den-Tod-wuenscht-ist-Volksverhetzer.html.

9 Riebe, Jan (2012): Grass-Gedicht: Kritik oder Antisemitismus? Gastbeitrag auf Mut gegen rechte Gewalt.
URL: https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/debatte/kommentar/grass-gedicht-kritik-oder-antisemitismus-2012-04.

10 Klein, Anna; Groß, Eva; Zick, Andreas (2014): Menschenfeindliche Zustände, in: Melzer, Ralf (Hrsg.): Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, S. 71.
URL: http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf.