Rassismus äußert sich – trotz vieler krasser Vorfälle – nicht immer plakativ. Vielmehr ist Rassismus sehr anpassungsfähig und für Nicht-Betroffene teilweise sehr subtil. Gleich bleibt aber immer: Rassismus ist die ideologisch geprägte Sicht, dass am Aussehen von anderen erkannt werden kann, ob sie hierher gehören“ oder nicht, woran sich eine (meist negative) Bewertung der konkreten Person anschließt.

Die Amadeu Antonio Stiftung fasst die Denkmechanismen hinter Rassismus folgendermaßen zusammen:

Wenn die Herkunft, das Aussehen oder der Akzent für unsere Einschätzung oder Bewertung einer Person wichtiger ist als ihr Handeln, dann ist das Rassismus. Wenn wir Menschen nach äußerlichen oder kulturellen Merkmalen in ‚wir‘ und ‚Andere‘ einteilen und die ‚Anderen‘ als weniger wert oder weniger gut als ‚uns‘ einstufen, dann denken wir rassistisch. In Deutschland bedeutet Rassismus, dass weiße Menschen sich selber unhinterfragt als die Norm verstehen, dass weiße Deutsche also das ‚Wir‘ für sich in Anspruch nehmen und sich nicht als die ‚Anderen‘ sehen müssen.1

Rassismus nimmt immer neue Gestalten an:
Wenn es nicht mehr um die Hautfarbe geht, geht es um Eigennamen, Kultur oder um die Herkunft. Ein Merkmal des Rassismus ist also dauerhaft vorhanden:
Rassismus ist äußerst anpassungsfähig.

Wenn die Frage nach der Anpassungsfähigkeit und Kontinuität von Rassismus gestellt wird, fällt auf, dass sie auch in deutschen Debatten eine wichtige Rolle spielt. Denn sowohl in politischen wie auch in medialen Auseinandersetzungen wird um den Begriff Rassismus meistens ein weiter Bogen gemacht. Nur wenn es explizit und eindeutig um den Nationalsozialismus oder heutige rechte Phänomene geht, wird der Begriff aus der journalistischen Mottenkiste geholt. Dadurch wird aber das Problem des Rassismus einerseits historisiert und anderseits seine aktuelle Bedeutung als gesellschaftliches „Randphänomen“ abgetan.

Es wird also nicht anerkannt, dass Rassismus ein Problem weiter Teile der Gesellschaft ist – wenn nicht an sich ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Vielmehr wird es mit neuen Begriffen verdeckt. So argumentiert Yasemin Shooman vom Zentrum für Antisemitismusforschung, „Hilfskonstruktionen wie Ausländerfeindlichkeit [führen dazu], dass historische Traditionslinien aktueller Rassismen unsichtbar gemacht werden“. 2 Deutlich wird die Schwierigkeit solcher Begriffe, wenn wir uns vor Augen führen, dass sich beispielsweise das als „Ausländerfeindlichkeit“ beschriebene Phänomen nicht generell gegen Menschen aus dem Ausland richtet – wenn es sich zum Beispiel um weiße Brit_innen handelt.

Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch. 3

In Anschluss an Theodor W. Adorno ist der Begriff des Kulturellen Rassismus in die Debatte gekommen. Er umfasst die Auffassung, nach welcher das Dasein eines Individuums durch seine Zugehörigkeit zu einem Kollektiv und dessen eigener Kultur bestimmt sei. Diese Zugehörigkeit wird dabei wiederum über eine gemeinsame „Abstammung“ hergeleitet – Individuen werden also einem bestimmten „Kulturkreis“ zugeordnet.

Diese Auffassung basiert auf dem Glauben an eine historisch gewachsene Unvereinbarkeit und Hierarchie der Kulturen; wobei Kulturen als jeweils unwandelbare und sowohl nach innen als auch nach außen abgeschlossene Gebilde vorgestellt werden. Dadurch werden kulturelle Unterschiede „naturalisiert, das heißt eine Gruppe wird zunächst als kulturell homogen, also gleichförmig definiert. Daraufhin wird das Verhalten der Mitglieder dieser Gruppe aus ihrer Gruppenzugehörigkeit und den vorher unterstellten Eigenschaften abgeleitet.

Solches Denken blendet die subjektive Perspektive der Individuen aus, wie sie sich selbst verorten und welcher Gruppe oder welchen Werten sie sich zugehörig fühlen. Außerdem werden dabei andere Komponenten der Identität ignoriert, etwa das Geschlecht, das Alter, die politische Einstellung, die eigene Berufstätigkeit oder das Milieu, in dem sie sich bewegt.

Von „Ausländer raus“ zu „Abendland in Christenhand“

Der kulturelle Rassismus lässt sich am sogenannten antimuslimischen Rassismus verdeutlichen. Dieser baut auf einer Konstruktion von sich vermeintlich und natürlich gegenseitig ausschließenden, unvereinbaren Weltbildern der „westlichen“ und der „islamischen“ Kultur auf. Dabei wird nicht selten der zynische Ausdruck eines christlich-jüdischen Abendlandes verwendet und gleichzeitig die lange Geschichte des Antisemitismus in der westlich-christlichen Welt“ ignoriert.

Deutlich wird dieser Rassismus spätestens seit 2014 durch die stark gestiegene Feindlichkeit gegenüber Asylsuchenden und Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sowie in der Diskussion um die „Integrierbarkeit“ von Muslim_innen.

Bereits in den vergangenen Jahrzehnten wurden Panik machende Schlagworte wie Überfremdung und Asylflut anhand der Kultur und Religion an den Gastarbeiter_innen und „Türk_innen“ ausbuchstabiert. Mittlerweile hat sich die Wahrnehmung auf die „Muslim_innen“ verschoben. Dabei wird immer von einem einheitlichen Block muslimischer Menschen einerseits und von einem ebenso einheitlichen Teil an Menschen christlich-abendländischer Kultur andererseits ausgegangen. Unterschiede oder Gegensätze innerhalb dieser Gruppen werden ignoriert.

Diese Denkmechanismen sollten nicht unterschätzt werden. Zwar skandierten bis vor wenigen Jahren vor allem die Rechtspopulist_innen und Neu-Rechten in ganz Europa vereint öffentlich Parolen wie „Abendland in Christenhand“ und gaben damit das alte „Ausländer raus auf. Allerdings haben Umfragen in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten gezeigt, dass bereits bis 2012 über 44 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass in ihrem Land zu viele Muslim_innen leben.

Besonders beängstigend sind Tendenzen in Ländern, in denen der Anteil der muslimischen Bevölkerung unter 1 Prozent liegt, aber die Werte der Abneigung noch höher lagen. Dies zeigt, dass Ressentiments nicht an eine reale Präsenz ihrer Objekte oder reale Erfahrungen mit diesen gebunden sind.

Mit dem Jahr 2014 hat sich das Klima auch in Deutschland in der Fläche verändert. Nicht nur die bis dato bekannten rechtsextremen und -populistischen Akteur_innen hetzen gegen Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten. Auch die sogenannte „gesellschaftliche Mitte“ schimpft auf Demonstrationen beispielsweise der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) gegen Zuwanderung, gegen den deutschen Staat und die sogenannte „Lügenpresse“ – frei von Rationalität und Argumenten.

Pegida und vor allem die lokalen Ableger und „Bürgerinitiativen“ gegen Unterkünfte für Asylsuchende sind stark geprägt durch rechtsextreme Akteur_innen. Mit dem Aufkommen dieser Bewegung kommt es auch zu einer drastischen Zunahme von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und Asylsuchende, wie es der Fall „Suhl“ in der Ausstellung bereits im August 2014 andeutet.

Alltäglicher und institutioneller Rassismus

Als äußerlich erkennbare Minderheit sind Nicht-Weiße in Deutschland sehr häufig und in besonderem Ausmaß von Rassismus betroffen. Fälle wie „Weimar“, „Altenburg“ und andere Übergriffe oder Bedrohungen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Ein umfangreiches Repertoire des alltäglichen Rassismus macht es vielen People of Color, also Nicht-Weißen, schwer, einen angstfreien und unbeschadeten Alltag zu führen:

Schwarze Bürgerinnen und Bürger beklagen, dass man sie nicht respektiert, sondern mit ihnen wie mit Kindern redet, sich überrascht zeigt, wenn sie gut Deutsch können, ungeniert mit dem Finger auf sie zeigt oder herabsetzende Gesten macht. Sie berichten von ‚nicht böse gemeinten‘ Fragen wie ‚Sie haben doch sicher Rhythmus im Blut bei Ihrer Abstammung‘ und Wünschen, einmal durch die dunklen Locken des Gegenübers fahren zu dürfen.4

Solche Feindseligkeiten äußern sich in anderen Situationen viel drastischer. So kommt es nicht nur zu offenen Beleidigungen, sondern auch zu Benachteiligungen, denen sich People of Color bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, in Geschäften, Behörden, Krankenhäusern und öffentlichen Verkehrsmitteln ausgesetzt sehen. Im Jahr 2012 hat das Antidiskriminierungsbüro Sachsen verdeckt untersucht, wie Nicht-Weiße beim Einlass in Diskotheken behandelt werden. Das Ergebnis war erschreckend:

Mehr als 50 Prozent der getesteten Diskotheken (sechs von elf) verweigerten den ‚nicht-deutschen‘ Testern den Zutritt während die mehrheitsdeutschen Vergleichspersonen problemlos eingelassen wurden. Das ist eine deutliche Form rassistischer Diskriminierung. 5

In sehr krassen Fällen reicht die Behandlung bis hin zu Schikanen und Gewalt durch die Polizei oder andere Behörden, die Schwarze oder andere Nicht-Weiße wie „Kriminelle“ behandeln. Die Praxis, mit der die Residenzpflicht von Asylbewerber_innen durchgesetzt wird, ist nur ein sehr deutliches Beispiel dafür: Es ist tendenziell nie der Fall, dass Weiße Personen im öffentlichen Raum aus dem Nichts von der Polizei angesprochen und nach ihrem Ausweis gefragt und daraufhin kontrolliert werden, ob ihrAufenthaltsstatus ihnen erlaubt, sich im entsprechenden Bundesland oder Landkreis zu bewegen.

Das alltägliche Leben Nicht-Weißer ist von Ausgrenzungen und Chancenungleichheit bestimmt. Die Nicht-Thematisierung oder die stereotype Darstellung in der Schule und in den Medien gehen als Respektlosigkeit, Ablehnung, Hass und Gleichgültigkeit über eine generelle Fremdenfeindlichkeit hinaus. Zum Teil sehen sich Schwarze Menschen der Frage ausgesetzt, ob und wann sie denn „zurückgehen und nicht selten wird einer Weißen Frau die Frage gestellt, ob ihre Kinder adoptiert sind, wenn sie mit einem Schwarzen Mann gemeinsame Kinder hat.

Die afrodeutsche Lyrikerin May Ayim hat den alltäglichen Rassismus und ihre eigene Auseinandersetzung damit in einem Gedicht festgehalten:

in deutschland großgeworden, habe ich gelernt, dass mein name neger(in) heißt und die menschen zwar gleich, aber verschieden sind,
und ich in gewissen punkten etwas überempfindlich bin,
in deutschland großgeworden, habe ich gelernt, zu bedauern schwarz zu sein, mischling zu sein, deutsch zu sein, nicht afrikanisch zu sein,
deutsche eltern zu haben, afrikanische Eltern zu haben,
exotin zu sein, frau zu sein6

Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht nur im rechten Spektrum auftritt. Es hat sich institutionell verankert und nimmt verschiedene, teilweise subtile, teilweise offensiv bis aggressive Formen im Alltag an. Wichtig ist, dass wir in einen reflektierten Umgang mit allen Formen von Rassismus treten und uns solidarisch mit den Opfern dieser Rassismen zeigen.

Weitere und ausführlichere Informationen zum Thema „Rassismus“, kultureller Rassismus und Alltagsrassismus können Sie im Internet finden – zum Beispiel auf den Seiten der Amadeu Antonio Stiftung unter www. amadeu-antonio-stiftung.de. Auf der Seite www.living-euqality.org steht Ihnen auch die von der Stiftung bereitgestellte Handreichung „ Rassismus. Was ist das? Was geht mich das an? Was kann ich dagegen tun? kostenlos zum Download zur Verfügung.

Alle Hinweise und Informationen können Sie auch in Ruhe auf der Sonderseite zur Ausstellung und auf der Website der Opferberatung ezra abrufen. Klicken Sie dazu bitte auf www.angstraeume.ezra.de oder www.ezra.de.

1 Amadeu Antonio Stiftung (o.J.): Rassismus. Was ist das? Was geht mich das an? Was kann ich dagegen tun? URL: http://aas18.wegewerk.org/w/files/pdfs/rassismus.pdf.

2 Shooman, Yasemin (2012): Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus, in APUZ 16-17/2012. URL: http://www.bpb.de/apuz/130422/das-zusammenspiel-von-kultur-religion-ethnizitaet-und-geschlecht-im-antimuslimischen-rassismus?p=all.

3 Adorno, Theodor W. (1975): Schuld und Abwehr, in: Ders.: Gesammelte Schriften Band 9/2, S. 276f.

4 Bergmann, Werner (2006): Rassistische Vorurteile, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Rechtsextremismus. URL: www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41894/rassistische-vorurteile?p=all.

5 Antidiskriminierungsbüro Sachsen (2012): Rassistische Einlasskontrollen.
URL: http://www.adb-sachsen.de/rassistische_einlasskontrollen.html.

6 Kantara, Jeannine (2008): Schwarz. Und deutsch., in: DIE ZEIT 37/2000.
URL: http://www.zeit.de/2000/37/Schwarz_Und_deutsch_/komplettansicht.