Angriffe aus rechten, rassistischen, antisemitischen und anderen Motiven gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit können für Betroffene und ihr Umfeld auf verschiedenen Ebenen wirken. Unmittelbar sind körperliche, seelische und ökonomische Folgen für die Betroffenen zu spüren. Oft nicht so leicht greifbar, dafür aber umso langfristiger und über die direkt Betroffenen hinaus wirksam sind soziale und gesellschaftliche Folgen der Angriffe.

Soziale und gesellschaftliche Folgen

Rechte Gewalt basiert auf der Idee der Ungleichwertigkeit von Menschen.
Sie zielt darauf, bestimmte Gruppen abzuwerten und aus der Gesellschaft auszuschließen.
Bei allen Formen von Gewalt, die in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wurzeln, ist es besonders wichtig, wie das soziale Umfeld, politisch Verantwortliche und die Ermittlungsbehörden mit den Betroffenen, ihren Angehörigen und mit Zeug_innen umgehen und wie die Straftaten bewertet und verfolgt werden.

Eine Nichtanerkennung der Leiden traumatisierter Menschen durch Institutionen der Gesellschaft, Behörden und Gerichte wirkt sich nachweislich zusätzlich belastend aus. Sie verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl des Verlustes von Vertrauen in die Welt und führt zu langfristigen sozialen Beeinträchtigungen. Eine fehlende Anerkennung der Opfererfahrung durch die Gesellschaft, die eine klare Verurteilung des Verbrechens einschließen muss, sowie mangelnde soziale Unterstützung können zu einer zusätzlichen Opferwerdung („Sekundäre Viktimisierung“) führen und anhaltende Gefühle von Unsicherheit und Wertlosigkeit hervorrufen sowie den Wiederaufbau einer stabilen und selbstbewussten Identität erschweren.

Im Jahr 2014 befragten Wissenschaftler der Universität Jena 44 Betroffene, die von ezra beraten und begleitet wurden, zu ihren Erfahrungen mit der Polizei. Die Ergebnisse dieser Befragung wurden veröffentlicht. 1 Viele der Befragten fühlten sich von der Polizei nicht ernst genommen oder als Täter_innen und nicht als Opfer behandelt. Zudem berichteten Betroffene von Vorurteilen seitens der Beamt_innen ihnen gegenüber. Mehr als die Hälfte äußerte den Eindruck, die Polizei habe sich nicht an der Aufklärung der politischen Motive der Tat interessiert gezeigt. Nur in wenigen Fällen fühlten sich die Gewaltopfer über alle ihnen zustehenden Ansprüche und Rechte durch die Beamt_innen informiert. Auch im Nachtatsbereich (das heißt bei Zeugenaussagen im Polizeirevier) fühlten sich viele der Befragten eingeschüchtert oder ungerecht behandelt und nahmen ein mangelndes Interesse an der Aufklärung der Motive der Gewalttat wahr. Zudem war knapp ein Drittel der Befragten im Alltag von häufigen Polizeikontrollen betroffen (sog. Racial Profiling).

Viele Menschen, die von rechter Gewalt betroffen sind, machen zudem Erfahrungen mit Diskriminierung und Alltagsrassismus.

Folgen für die physische und psychische Gesundheit

Gewalterfahrungen können das seelische, körperliche und soziale Gleichgewicht eines Menschen in erheblichem Ausmaß beeinträchtigen und zu gesundheitlichen Problemen unterschiedlicher Art und Intensität führen. Selbst bei einem Angriff unverletzt gebliebene Zeug_innen können durch das Erlebte traumatisiert werden. Abhängig von äußeren Einflüssen und eigenen Vorerfahrungen entwickeln Betroffene individuelle Verarbeitungsmechanismen.

Nicht selten bedeutet die Gewalterfahrung für Betroffene sowie für nahe stehende Personen einen radikalen Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Wenn die Bedrohungssituation anhält und weitere Repressionen aus dem Umfeld der Täter_innen erlebt werden, führt dies zusätzlich zu massiven psychischen Belastungen.

Körperliche und psychische Beschwerden können nicht nur kurz nach dem Ereignis, sondern auch erst später auftreten. Psychische Belastungserscheinungen wie Schlafstörungen, Albträume und Angstanfälle können als Folgen eines Angriffs auftreten. Manche Betroffene können den Angriff nicht mehr vergessen, dauernd kreisen die Gedanken darum. Die Konzentration auf etwas anderes wird schwierig bis unmöglich.

Manchmal kommen die Erinnerungen auch ganz plötzlich im Alltag zurück und die Betroffenen fühlen sich in die Situation zurückversetzt und können sich dem quälenden Wiedererleben nicht entziehen. Dieses plötzliche Wiedererinnern kann durch Wahrnehmungen ausgelöst werden, die denen zum Tatzeitpunkt ähneln: ein bestimmter Geruch, Geräusche, Personen oder Orte wie zum Beispiel die Straßenbahn, ein Park, eine dunkle Straße. Das kann als unangenehm und belastend bis unerträglich empfunden werden.

Bei vielen Betroffenen führen diese unerwünschten Erinnerungen zu Vermeidungen.
Möglicherweise werden große Umwege in Kauf genommen, Einkäufe oder der Weg zur Schule können kaum noch bewältigt werden und der Alltag ist plötzlich großen Beschränkungen ausgesetzt.
Mit den Gedanken und Erinnerungen kann Nervosität auftreten, Unruhe oder Angst in bestimmten Situationen. Betroffene können schnell gereizt sein. Manche schlafen abends schlecht ein oder wachen nachts auf und kommen nicht mehr zur Ruhe. Dazu können physische Symptome auftauchen, z.B. häufige Kopfschmerzen und andere körperliche Schmerzen.

Bei vielen Betroffenen vergehen die Belastungserscheinungen nach einiger Zeit, wenn die Psyche die Verletzung der persönlichen Integrität verarbeiten kann. Dies ist individuell sehr unterschiedlich. Bleiben die Symptome jedoch länger bestehen, verstärken sie sich, anstatt allmählich weniger zu werden, oder treten erst später auf, können sich posttraumatische Belastungsstörungen, andauernde Persönlichkeitsstörungen nach Extrembelastung oder Begleiterkrankungen herausbilden.

Posttraumatische Belastungsstöhrung(PTBS)

Die PTBS ist eine gravierende psychische Störung, die nach besonders belastenden Ereignissen auftreten kann. Die Betroffenen haben die Erfahrung von Lebensgefahr oder Körperverletzung gemacht bzw. erlebten die Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder die einer anderen Person. Diese Erfahrungen waren so schwerwiegend, dass die Betroffenen mit deren Verarbeitung überfordert sind.
Das traumatische Ereignis war geprägt von völliger Hilflosigkeit, Ohnmacht, Angst oder Entsetzen und dem Gefühl des Ausgeliefertseins. Teile der Traumatisierung erlebt die Person in der Folge auf sehr belastende Weise im wachen Zustand oder im Schlaf wieder.

Entweder sind sie unfähig, vor dem Einschlafen zu entspannen, oder sie fürchten, Albträume zu bekommen. Außerdem neigen sie zu Überwachsamkeit, erhöhter Schreckhaftigkeit und Ruhelosigkeit. Es treten die gleichen sinnlichen Eindrücke (z.B. bestimmte Bilder, Geräusche, Geschmacksempfindungen, Körperwahrnehmungen) sowie gefühlsmäßige und körperliche Reaktionsweisen auf, wie zum Zeitpunkt der traumatischen Erfahrung. Alles, was an das Trauma erinnert, wird als sehr belastend erlebt.

Auf die Erinnerung reagiert die Person zum Teil mit körperlichen Symptomen wie Herzrasen oder Übelkeit. Verbunden ist dies meist mit der Vermeidung von Situationen/Dingen, die an das Trauma erinnern, oder einer emotionalen Taubheit. Als weitere Symptome können autonome Übererregung, z.B. Schlaf- oder Konzentrationsstörungen, oder Reizbarkeit auftreten. Physiologische Übererregung stört die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und aus Erfahrungen zu lernen. Neben Amnesien, die sich auf Aspekte des Traumas beziehen, haben traumatisierte Menschen auch Schwierigkeiten, sich an alltägliche Ereignisse zu erinnern.

Viele Betroffene empfinden eine übergroße und unangemessene eigene Verantwortung für das Geschehen, häufig begleitet von Gefühlen wie Schuld oder Scham. Die Symptome der PTBS verursachen oft erhebliche Beeinträchtigungen in Beruf, Freizeit, Sozialkontakten oder Familie – bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Viele Betroffene verlieren das Interesse an Dingen, die ihnen früher wichtig waren und Freude bereiteten. Sie isolieren sich von ihrer Umwelt, haben ein erhöhtes Bedürfnis, die Umwelt oder andere Menschen zu kontrollieren, sind unruhig und übervorsichtig, zugleich auch leichter reizbar oder aggressiver als früher. Sie können in einen Zustand generalisierter Hoffnungslosigkeit versinken.

Wenn eine Unfähigkeit entsteht, die eigene Rolle und die Rolle anderer in zwischenmenschlichen Konflikten richtig einzuschätzen, sehen Betroffene sich möglicherweise in vielen sozialen Kontakten wieder zum Opfer gemacht. Viele Betroffene sind darüber hinaus auch nach der erlebten Tat weiteren Situationen ausgesetzt, z.B. als Zeug_in vor Gericht, welche mit einer hohen emotionalen Belastung einhergehen. Das erneute Durchleben der Tat sowie die Konfrontation mit Täter_innen bedeuten für viele Betroffene weiteren erheblichen psychischen Stress.

Psychosoziale Beratungsansätze

Während die körperlichen Verletzungen meist behandelt werden, verdrängen die Betroffenen häufig ihre psychischen Verletzungen. Bei der Beratung geht es vor allem um die Entwicklung und Erweiterung von Kompetenzen und die Stärkung der individuellen Handlungssicherheit. Das übergreifende Ziel der Opferberatung ist es, betroffene Personen durch Beratung und Begleitung zu befähigen, so schnell und sinnvoll als möglich, die Opferperrolle hinter sich lassen zu können, Ängste zu verlieren und wieder einen normalen Ablauf des Alltags zu erreichen. Ganzheitlichkeit, Ressourcenorientierung und Nachhaltigkeit bilden die Grundlage des Handelns. Dabei steht vor allem die Hilfe zur Selbsthilfe im Mittelpunkt der Arbeit. Bei der psychosozialen Beratung geht es insbesondere um die nachhaltige psychische Stärkung der Opfer.

Waren die Erfahrungen so schwerwiegend, dass die Personen mit ihrer Verarbeitung dauerhaft überfordert sind und sich eine akute Belastungsstörung, PTBS oder eine andere Angststörung bzw. affektive Störung bei den Betroffenen entwickelt hat, ist eine psychotherapeutische Behandlung angezeigt. Mitarbeiter_innen der Beratungsstelle können dabei helfen, eine geeignete psychotherapeutische Hilfe zu finden und Betroffene an entsprechende Einrichtungen vermitteln.
Da die Traumatisierung zu Persönlichkeitsveränderungen führen kann, besteht die Gefahr, dass sich bei ausbleibender Behandlung die PTBS chronifiziert. Dies umso eher, wenn bereits in der Vergangenheit traumatisierende Gewalterfahrungen gemacht wurden, wie dies bei vielen Menschen mit Fluchterfahrungen der Fall ist.

Entscheiden sich die Betroffenen für eine stützende psychotherapeutische Behandlung, bedarf es oftmals sehr großer Geduld, denn eine Behandlung kann sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Auch ist mit Wartezeiten bis zum Beginn einer Psychotherapie zu rechnen.
Fundierte Studien zeigen, dass am stärksten diejenigen Personen betroffen sind, die nicht auf die Unterstützung durch ein soziales Netz zurückgreifen können.

Bei einer zeitnahen Unterstützung von Betroffenen durch Beratungsstellen und psychologische Hilfsangebote sind die Chancen zur Verarbeitung und Integration des Gewalterlebnisses gut, da noch keine Chronifizierung und Ausbildung von Begleitsymptomatik vorhanden ist. Je länger auf ein Auffangen und Lindern des Leidens durch soziale und rechtliche Beratung sowie psychologisch-psychotherapeutische Hilfe gewartet werden muss, desto größer ist die Gefahr, dass sich psychosomatische Folgeerkrankungen ausbilden.

Therapiekosten werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Sollten diese nicht erstattungsfähig sein, kann ein Antrag beim zuständigen Versorgungsamt zur Kostenerstattung gestellt oder der Hilfsfonds von ezra zur Finanzierung herangezogen werden.

1 Vgl. Quent, Matthias; Geschke, Daniel; Peinelt, Eric (2014): Die haben uns nicht ernst genommen. Eine Studie zu Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt mit der Polizei. Hg. v. ezra – Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Jena. Online verfügbar unter http://www.ezra.de.